Editorial 1/23
Alles aus der Region ist super?
Die Begeisterung für eine hübsche Patchworkdecke vom Wochenmarkt in der Provence war gross. Ein schönes Souvenir, das an die Beschaulichkeit des Landlebens im Süden Frankreichs erinnert, wo die Menschen sich noch Zeit nehmen und Traditionen pflegen. Umso grösser dann die Enttäuschung zu Hause, auf der Etikette «Made in Vietnam» zu entdecken. Ein schaler Beigeschmack blieb.
In der Sympathie der Konsument:innen kommt «regional» vor «global». Das Gemüse soll aus der Region sein und wenn man noch Fleisch isst, muss das Rind den heimischen Dialekt gehört haben, das Reh durch Wälder des eigenen Kantons gestreift sein. Schnell hat man das Argument zur Hand, lokal produziertes Obst hinterlasse wegen der kürzeren Transportwege einen kleineren ökologischen Fussabdruck. Für die Regionen der kleinen Schweiz mag das zutreffen, doch wer in einem französischen Supermarkt, sagen wir im Elsass oder Burgund, vor dem Butter-Regal steht, findet «regionale» Produkte en masse. Sie werden zwar in der Normandie, der Bretagne, im Pas de Calais hergestellt, die Distanzen sind jedoch alles andere als regional. Trotzdem neigt man dazu, diesen Erzeugnissen mehr Sympathie entgegenzubringen als der No-Name-Butter vom benachbarten Bauernhof. Bei der Diskussion um die Regionalität scheint es gar nicht so sehr darum zu gehen, dass ein Produkt aus der Nähe stammt, sondern dass man einen Ort mit ihm verbindet, der Vertrauen weckt. Man möchte auch die Menschen unterstützen, die das Produkt herstellen.
In der Schweiz und der EU dürfen Produkte einen speziellen Namen nur dann tragen, wenn sie in einer bestimmten Region hergestellt werden. Mozartkugeln müssen aus Salzburg kommen, Parmaschinken aus Parma. Die Herkunft steht für Authentizität und Originalität. Im Nachgang zur Pandemie, zum Ukraine-Krieg und den unterbrochenen Lieferketten erlebt(e) die Regionalität eine Renaissance. Wenn man die wichtigen Dinge in der Nähe herstellt statt im globalen Nirgendwo, sollte das für Sicherheit sorgen. Selbstversorgung statt Abhängigkeit, so die Idee.
Natürlich ist das ein frommer Wunsch, eine Sehnsucht nach einer heilen Welt, in der man alles hatte, was man brauchte. Die Sehnsucht nach Heimat vielleicht? «Heimat. Wo alles bleibt, wie es nie war.» So brachte es eine Veranstaltung des Einstein-Forums in Berlin einst auf den Punkt.
Die Region hat den Menschen, trotz aller Verbundenheit, nie genügt. Sie haben seit der Steinzeit Handel getrieben, Salz und Keramik verkauft, Gewürze und Wein getauscht. Allein schon die Tatsache, dass die Rohstoffe in einigen Gegenden häufiger vorkommen als in anderen, das Wetter sich besser für den Anbau eignet, der Boden bestimmte Früchte besser gedeihen lässt, führt zur Frage: Ist das, was die eigene Gegend hervorbringt, nicht genug abwechslungsreich? Hat es zu wenig wirtschaftliches Potenzial?
In der Diskussion um Regionalität versus Globalisierung sind romantische Gefühle, wirtschaftliche Überlegungen zur Risikovermeidung durch Diversifizierung, Fragen der Verfügbarkeit von Ressourcen und die Verbundenheit mit lokalen Produzent:innen miteinander verwoben. Es geht um gute Beziehungen und um sichere Bezugsquellen. Sie ist so vielgestaltig wie die Patchworkdecke «aus der Provence».