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Unternehmen neu gedacht  

Freiheit ist Hingabe – Hingabe an eine selbstgewählte Idee

Illustration Glühbirne hebt ab wie eine Rackete

Der Zustand der Schweizer Armee ist seit dem anhaltenden Krieg in der Ukraine wiederkehrendes Thema in Politik und Presse. Wer diese Debatte verfolgt, begegnet einer eigentümlichen, für einen aktiven Milizoffizier wie mich* teilweise ans Unerträgliche grenzenden Mischung aus Schuldzuweisungen, Polemik und gleichzeitig einer fahrlässigen Gleichgültigkeit. Ein Paradebeispiel dieser Kakophonie ist der Artikel «Pleiten, Pech und Panzer» in der grössten Boulevardzeitung der Schweiz.

Ungeniert wird dort von einer «Chaostruppe» geschrieben, im Zusammenhang mit den Bemühungen von Korpskommandant Thomas Süssli um mehr finanzielle Mittel für die Armee. An anderer Stelle wird vermerkt, die Armee sei eine weitgehend dysfunktionale Institution, die von Misswirtschaft, mangelhafter Ausrüstung und Inkompetenz geplagt werde. Eine andere, nicht überraschende Perspektive vertritt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth, der in einer Sonntagszeitung offen anzweifelt, ob die Schweizer Armee in ihrer heutigen Form überhaupt noch eine Existenzberechtigung habe. Obwohl er aus medizinischen Gründen keinen Dienst leistete, weiss er zuverlässig, dass in der Armee «autoritäre Strukturen» vorherrschen und der Alltag von «allgegenwärtigem Sexismus» geprägt ist.

Unseriöser Ein-Topf-Journalismus

Der Tenor solcher Aussagen frei jeglicher eigener Erfahrung lautet: Die Armee ist eine anachronistische Institution, ein Relikt vergangener Zeiten, das nur noch durch Tradition und Symbolik am Leben erhalten wird. Zusätzlich trägt die begriffliche Unschärfe zur Verwirrung bei. Immer wieder werden das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), das Bundesamt für Rüstung (armasuisse), die verselbstständigte RUAG MRO Holding AG (RUAG) und die Armee selbst in einen Topf geworfen, als wären sie die gleiche Organisation. Dabei handelt es sich um grundverschiedene Institutionen mit eigenen Aufträgen, Zuständigkeiten und Verantwortlichen. Wenn etwa Probleme bei der Beschaffung durch armasuisse oder Missstände bei der RUAG als Belege für die Dysfunktionalität der Armee herangezogen werden, wird im besten Fall fahrlässig, im schlechten bewusst eine falsche Kausalität konstruiert. Diese unsaubere Berichterstattung, die unter Schlagworten wie «Drohnen-Trauerspiel» oder «Logistik-Software-Puff» als seriöser Journalismus verkauft wird, verstärkt das Bild einer chaotischen und ineffektiven Organisation, die der heutigen Realität nicht gerecht wird.

Immer wieder werden das VBS, die armasuisse, die verselbstständigte RUAG und die Armee in einen Topf geworfen, als wären sie die gleiche Organisation.

Dienstleistende mit Hingabe

Eine Armee, die entweder als unfähig oder als überflüssig dargestellt wird, kann kaum den Rückhalt der Bevölkerung und damit auch nicht mehr finanzielle Mittel beanspruchen. Was in dieser mit Halbwissen und Schlagworten geführten Debatte zu vergessen gehen scheint, ist die zentrale Rolle der Schweizer Armee als Milizorganisation. Diese wird getragen von Bürgerinnen und Bürgern in Uniform, die bereit sind, einen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes zu leisten, mit Hingabe und häufig zu Lasten von Familie und Beruf. Wenn die Armee in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch nur noch als Problemfall angesehen wird, verliert sie ihre prägende, identitätsstiftende Funktion als selbstgewählte Idee zur Verteidigung unserer Freiheit.

Als aktiver Milizoffizier, der seit über fünfundzwanzig Jahren bis auf Stufe grosser Verband Dienst leistet, erlebe ich die tatsächliche Umsetzung dieser Idee hautnah. Ich habe es mit engagierten, lernbereiten, belastbaren und sehr oft bescheidenen Menschen zu tun, die sich mit Hingabe im besten Sinne des Wortes in den Dienst des Landes stellen. Sie sind keine chaotische Truppe, sondern ein Abbild der Zivilgesellschaft selbst – mit all ihren Stärken und Schwächen. Sehr wertvolle zwischenmenschliche Erfahrungen habe ich mit Angehörigen der Armee erleben dürfen.

Die Kamerad:innen, mit denen ich dienstlich zusammenarbeite, sind nicht die autoritären, inkompetenten und sexistischen Karikaturen, die in den Medien gezeichnet werden.

Illustration Papierflieger wird von einer Hand losgelassen zum fliegen

Eine Soldatin wie im Büchlein

Stellvertretend für viele steht die Kameradin im Rang eines Majors, die in leitender medizinischer Funktion im Ausland tätig ist. Ihr Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, sie für den Militärdienst freizustellen, weshalb sie freiwillig in einem reduzierten Pensum arbeitet, um trotzdem jedes Jahr vier Wochen Dienst zu leisten. Der Einkommensverlust und die Reisezeit von ihrem Wohnort im Ausland in die Schweiz gehen zu ihren Lasten, die Betreuung der minderjährigen Kinder wird durch Familie und Freunde sichergestellt, als wäre es selbstverständlich. Als Chef Sanitätsdienst stellt sie die Aus- und Weiterbildung und damit die Einsatzbereitschaft der unterstellten Truppen im medizinischen Bereich sicher. Mit ihrem Fachwissen, selbstlosen Engagement und ihrer Persönlichkeit ist sie in unserem Verband eine tragende Stütze und ein Vorbild. Angehörige der Armee wie sie sind in unserer Organisation viele zu finden. Insbesondere auch die vielen Berufsoffiziere und -unteroffizierinnen, die mit Leib und Seele Angehörige der Armee sind und das für ihren Beruf notwendige «feu sacré» in sich tragen.

Viel Freiheit bei der Ausführung von Aufträgen

Der entscheidende Punkt, der in der öffentlichen Diskussion oft übersehen wird, ist die besondere Struktur der Schweizer Armee. Sie ist weder eine Verwaltungseinheit noch eine selbstständige Organisation innerhalb des VBS. Zwar wird sie durch die Gruppe Verteidigung als in der Verfassung verankerte, gesamteidgenössische Institution geführt, die im Milizprinzip direkt aus der Gesellschaft hervorgeht und in ihrer Funktionsweise einzigartig ist. Sie ist aber nach meiner tiefen Überzeugung eine Organisationsform sui generis. Die Schweizer Armee besteht zu über 95 Prozent aus Milizangehörigen und funktioniert nach eigenen Grundsätzen und moralischen Wertvorstellungen, die im Dienstreglement festgehalten sind und die eine situative, zielorientierte und wertebasierte Führung fordern. Offiziere und Unteroffiziere dienen durch ihr eigenes Verhalten als Vorbilder und leben Werte wie Kameradschaft, Respekt und Integrität vor. Geführt wird nicht durch starre Befehle, sondern nach dem Prinzip der Auftragstaktik: Vorgesetzte geben den Auftrag vor, lassen jedoch ihren Unterstellten die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie dieser erreicht werden. Jeder Angehörige der Armee trägt Verantwortung für die eigene Aufgabe, während Führungskräfte diese Verantwortung klar delegieren und gleichzeitig Vertrauen in ihre Unterstellten zeigen. Die Achtung, Förderung und Entwicklung der anvertrauten Menschen stehen dabei im Mittelpunkt. Respekt, Teamgeist und die individuelle Stärkung der Fähigkeiten sind ebenso entscheidend wie Disziplin, Durchhaltewillen und Leistungsbereitschaft. Letztlich hängt der Erfolg im Einsatz massgeblich von der guten Zusammenarbeit aller Truppen und Einheiten ab, weshalb eine kooperative, loyale und ehrliche Haltung für den Korpsgeist unverzichtbar ist.

Die Verteidigung unserer Staatsform und die Freiheit, die wir alle als selbstverständlich empfinden, bedarf auch zukünftig der Hingabe, sei es personeller, materieller oder finanzieller Art. Ansonsten laufen wir Gefahr, von den geopolitischen Entwicklungen einge- und überholt zu werden. Oder wie es Winston Churchill zugeschrieben wird: «Jedes Land hat eine Armee, entweder die eigene oder eine fremde.»

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