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Unternehmen neu gedacht  

Wer mit Bauen zu tun hat, kann sich nur bedingt für das eine – Globalisierung – oder das andere – Regionalisierung – entscheiden. Unweigerlich sind die Grenzen fliessend, wenn es um
Arbeitskräfte, Baumaterialien und -systeme sowie viel­fältige Dienstleistungen geht. 

Beginnen wir mit den Arbeitskräften. Dass diese in der Schweiz Mangelware sind, ist mittlerweile zur Normalität geworden. Was nichts anderes heisst, als zumindest grössere Baustellen kaum mehr ohne ausländische Arbeitnehmende auskommen. Und dies trotz unserer eigenen Bemühungen, möglichst schweizerische, noch besser regionale Unternehmen zu beauftragen. Denn oft sind es Auftragnehmende, die aus Kapazitäts- oder finanziellen Gründen einen Unterakkordbetrieb beiziehen, der im besten Fall aus den Nachbarländern, aber auch von wesentlich weiter herkommt. Wir müssen nicht beschönigen, dass diese Praxis häufig dann anzutreffen ist, wenn eine General- oder Totalunternehmung ein Bauprojekt realisiert. 

Konkurrenz aus der Ferne

Damit das in geordneten und fairen Bahnen verläuft, gibt es das schweizerische Entsendungsgesetz (EntsG). Dieses regelt zusammen mit der dazugehörigen Verordnung die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen, die in der Schweiz tätigen Arbeitnehmenden gewährt werden müssen. Bei den einzuhaltenden Normen handelt es sich um Arbeits- und Ruhezeiten, Mindestdauer der Ferien, minimale Entlöhnung, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Schutz von Schwangeren, Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen sowie Gleichbehandlung von Frau und Mann. Zudem können nun gemäss Entsendungsgesetz Dienstleistungen/Entsendungen aus einem Mitgliedstaat der EU/EFTA und mit einer Dauer bis 90 Tage auf blosse Meldung hin erbracht werden, d.h. es braucht keine vorgängige Bewilligung mehr. Die Hürden sind also recht klein; die Verlockung, Wertschöpfung «ins Ausland» zu exportieren, umso grösser.

Derzeit wird die Globalisierung von weiteren Faktoren befeuert, vor allem finanziellen. Die stark gestiegenen Preise für Roh- und Treibstoffe sowie Baumaterialien haben die Kosten für Bauvorhaben in die Höhe schnellen und Margen schrumpfen lassen. Der im Juni 2022 vom Bundesamt für Statistik (BFS) publizierte Baupreisindex weist für den Hochbau einen Anstieg von 4,9% gegenüber Oktober 2021 und von 8,1% gegenüber dem Vorjahr (April 2022) aus. Das ist die stärkste innerhalb eines Jahres erfolgte Zunahme seit Beginn der Datenerfassung 1998. Längst sind es nicht mehr hauptsächlich die Lohnkosten – und aktuell die höheren Hypothekarzinsen – welche die Bauteuerung antreiben. Herkunft und Herstellung von Baumaterialien werden künftig nicht mehr nur aus ökologischer oder moralischer Sicht bewertet, sondern sich direkt auf die Wirtschaftlichkeit der Projekte auswirken. Das könnte zu einer Sensibilisierung im Umgang mit Rohstoffen führen. 

Ökologische Ansprüche als Herausforderung

Apropos Ökologie: Wir alle befürworten grundsätzlich den Schutz der Umwelt und einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen, keine Frage. In der Baubranche geschieht das nicht immer freiwillig. Es sind nicht nur die berechtigten Ansprüche von Käuferinnen und Mietern, die zu mehr Nachhaltigkeit bei Bauwerken führen und so sanften (Markt)Druck auf die Ersteller ausüben. Zunehmend sind Ausschreibungen und Aufträge mit klaren und strengen Auflagen verbunden, was den Bau und den Betrieb angeht. Es gibt Regelwerke von Bund und Kantonen (z.B. die MuKEn, Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich), von Berufsverbänden (z.B. SIA-Empfehlungen und -Normen), die 2000-Watt-Gesellschaft (ein Modell der ETH Zürich) und 2000-Watt-Areale, den Gebäudeenergieausweis der Kantone GEAK, Vereine und Labels wie Minergie, Ecobau, Green Building Schweiz, das Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz NNBS sowie internationale Standards wie Leed und Breeam. 

«Eine Wende im Bauen bedarf […] auch der Bereitschaft der Praxis, Regularien und eigene Grundsätze infrage zu stellen, um in einem gemeinsamen Austausch eine tiefgreifende Neuausrichtung des Planens und Bauens für morgen zu erreichen.»

Helga Kühnhenrich, Architektin/Bundesinstitut für
Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

Die Architektur im Dilemma

Bauen ist enorm komplex geworden. So viele Anforderungen, so viel Technik, so viel Wirtschaftlichkeit! Die Digitalisierung erleichtert zudem den Austausch von Ideen, sprich Entwürfen. Die Planung eines Bauwerks kann in Helsinki erfolgen, seine Realisierung in Zürich. Diese Auflösung von Grenzen hat auch Einfluss auf die Architektur an sich, leider nicht immer zu ihrem Vorteil. Die heute sichtbare Architektur ist in hohem Mass austauschbar geworden. Um einem global gültigen und marktkonformen Baustil gerecht zu werden, kommt ein wichtiges Qualitätsmerkmal zu kurz: Das regionale Gestaltungselement. Das Ergebnis wirkt oft beliebig und wenig inspiriert, anonym. Das Bedürfnis jedoch, sich regional zu verorten und eine Identifikation mit dem baulichen und landschaftlichen Umfeld zu ermöglichen, bleibt.

Die meisten Menschen sind verwurzelte Wesen mit emotionalen und physischen Bezügen zu ihren Mitmenschen, Orten, Traditionen. Die Mobilität rund um den Erdball, physisch und virtuell im Internet, sowie der gesellschaftliche Wandel brauchen als Gegenkraft sicht- und greifbare Bezüge zu Boden, Orten und Bauten. Regionale Baukultur orientiert sich an Haustypen und Gebäudeformen, Baumaterialien und -methoden, die für einen Landstrich oder auch eine Stadt typisch sind. Es geht also nicht nur um Stil, sondern auch um kulturelle, wirtschaftliche und soziale Aspekte. Im Idealfall finden Architektur, Handwerk und Zulieferbranche auf diese Weise wieder zusammen. 

«Manche halten den Unternehmer für einen räudigen Wolf, den man totschlagen müsse; andere meinen, er sei eine Kuh, die man ununterbrochen melken könne; nur wenige sehen in ihm ein Pferd, das den Karren zieht.»

Winston Churchill

Eine Lanze für das Unternehmertum

Bei allem Verständnis für die vielen berechtigten Anliegen und Einflüsse – Auftraggebende sind oft Unternehmerinnen und Unternehmer, die wiederum ihre eigenen, ebenfalls berechtigten Interessen verfolgen. Es hilft niemandem, wenn Bauprojekte unrentabel sind. Es hilft niemandem, wenn zu teuer eingekauft wird. Und es hilft niemandem, wenn die Initiative für sinnvolle Bauprojekte im Keim erstickt wird, weil die gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Hürden zu hoch sind. 

Aber: Eine Lanze sei eben auch gebrochen für angemessene Margen und Renditen, regionales Know-how, ortsverträgliche Architektur, dauerhafte Bauqualität. Das alles ist nicht einfach unter einen Hut zu kriegen. Nichtsdestotrotz sind wir überzeugt, dass die oben genannten Entwicklungen regionales Bauen erfordern und fördern. Mit mehr Regionalität und weniger Globalisierung gelingt es besser als umgekehrt. 

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