Mikrosteuer – Utopie oder revolutionäre Idee?
Im Gegenzug sollen die direkte Bundessteuer, die Mehrwertsteuer und die Stempelabgabe abgeschafft werden. Die Mikrosteuer wird automatisch auf allen elektronischen Finanztransaktionen erhoben, maximal 0.5 Promille. Von deren Einführung würden vor allem Privatpersonen und KMU profitieren, da sie wesentlich weniger Steuern bezahlen würden. Das System ist bestechend einfach und nachvollziehbar: Wer mehr Geld bewegt, bezahlt mehr. Die Steuer wird automatisch auf jede bargeldlose Finanzbewegung erhoben, sei es beim Kauf einer Zeitung mittels Kreditkarte, der Lohnzahlung an einen Angestellten oder bei den Milliardentransaktionen im Wertschriften- und Devisenhandel.
Politisch neutral
Bemerkenswert ist, dass hinter der Initiative zwei pensionierte Banker stehen, Dr. Jacob Zgraggen und Felix Bolliger. Ebenfalls im Initiativkomitee sind ein Professor der Universität Zürich, Dr. Marc Chesney, und der ehemalige Bundesratssprecher Dr. Oswald Sigg.
«In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage der Initianten zu verstehen: ‹Die Mikrosteuer ist politisch nicht links und nicht rechts, sie ist digital und fair.›»
Die Initianten kritisieren, dass die Finanzwirtschaft weitgehend zu einem Spekulationscasino geworden ist und dass die laufenden Finanzwetten ein Systemrisiko für die gesamte Volkswirtschaft darstellen. Die Finanzindustrie trägt wenig zur Finanzierung der öffentlichen Hand bei, obschon sie exorbitante Gewinne erzielt. Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass das Volk im Ernstfall dafür haftet. Es könne nicht sein, so die Initianten, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert würden.
Mit einem Ertrag aus der Mikrosteuer von CHF 60 Milliarden würde die Abschaffung der Mehrwertsteuer (23 Mia.), der direkten Bundessteuer (22 Mia.) und der Stempelsteuer (2 Mia.) kompensiert. Ein Promille Mikrosteuer pro Belastung und Gutschrift auf CHF 100‘000 Milliarden Zahlungsvolumen würde genügen, um den Finanzbedarf von Gemeinden, Kantonen und Bund sowie die Sozialversicherungen zu decken. Dies würde die aktuelle direkte und indirekte Belastung von rund 30 % Steuern und Abgaben bei den Bürgern und Unternehmern ersetzen und das gesamte Steuer- und Abgabensystem radikal vereinfachen.
Frankreich und Italien tun es schon
Die Idee einer Finanztransaktionssteuer ist nicht ganz neu, sondern wurde bereits in den 70er-Jahren vom Ökonomen James Tobin propagiert (Steuer auf Währungsspekulationen). Nach der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 kam diese Idee wieder aufs Tapet. Seit ein paar Jahren erheben Frankreich und Italien eine Steuer auf dem Hochfrequenzhandel. In der EU wird seit Längerem über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer diskutiert und gestritten, um neue Quellen für die Billionenbudgets der EU zu erschliessen. Die schweizerische Mikrosteuer unterscheidet sich dabei aber wesentlich von den Ideen der EU; dort liegt der Fokus einzig auf der Besteuerung des Wertpapierhandels.
Heutiges Steuersystem hinkt dem Wandel hinterher
Kritiker der Initiative bemängeln, dass man sich bei der Finanzierung der Staatsaufgaben nicht auf Steuern verlassen dürfe, die hauptsächlich von Finanztransaktionen (Wertschriften-, Devisen- und Hochfrequenzhandel) abhängig sind und sehr einfach ins Ausland verlagert werden können. Weiter würden diese Kosten von den Finanzinstituten so oder so auf die Kunden überwälzt und müssten somit wieder von uns Bürgern getragen werden.
Unbestritten benötigt die öffentliche Hand finanzielle Mittel in Form von Steuern und Abgaben, um ihre notwendigen und wichtigen Aufgaben und Investitionen finanzieren zu können.
Wir besteuern immer noch die Arbeit der Menschen, was faktisch dem mittelalterlichen Zehnten entspricht. Gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Wandel versuchen wir mittels Anpassungen, Korrektiven, Ausnahme- und Spezialbestimmungen zu begegnen. Das hat zur Folge, dass unser Steuersystem immer komplexer, unverständlicher und so «verschlimmbessert» wird. Ein aktuelles Beispiel ist das in Bundesbern diskutierte Bürokratiemonster einer Individualbesteuerung, was je nach Methodenwahl zu 1.8 Mio. zusätzlichen Steuererklärungen pro Jahr führen würde!
«Das heutige Steuersystem wird den Herausforderungen des digitalen Wandels und der Globalisierung nicht gerecht.»
Ein realistischer Wahnsinn?
Die Idee der Mikrosteuer ist bestechend einfach, in der Erhebung einfach umzusetzen und angesichts der immensen Finanzströme ergiebig. Wie immer und überall gibt es Kritiker, und sicherlich werden damit nicht alle Probleme gelöst. Aber sicher ist auch, dass das heutige Steuersystem sein Verfalldatum erreicht hat. Man kann die Idee der Mikrosteuer als «Wahnsinn» abkanzeln, aber wie sagte schon einst Albert Einstein: «Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.»