Neues Aktienrecht – was ich als Unternehmer*in wissen muss

Die Neuerungen in zentralen Bereichen des Aktienrechts wirken sich nicht nur auf börsenkotierte Gesellschaften aus, sondern auch auf KMU und Ein-Frau-Unternehmen. Das neue Aktienrecht tritt voraussichtlich Anfang 2022 in Kraft. Die Gesellschaften haben danach zwei Jahre Zeit, um ihre Statuten bei Bedarf anzupassen.
Die Generalversammlung
Neu ist es möglich, die Generalversammlung (GV) von A bis Z digital durchzuführen. Die Zustellung von Einladungen, Dokumenten und Protokollen kann elektronisch erfolgen. Die Beschlussfassung bei Universalversammlungen ist auf elektronischem Weg möglich, wie auch die elektronische Teilnahme an einer GV oder die Durchführung einer komplett virtuellen Versammlung. Zulässig ist neu auch die Durchführung an einem ausländischen Tagungsort oder an mehreren Tagungsorten gleichzeitig.
Neben dem Nutzbarmachen der Digitalisierung wird auch die Stellung der Geschäftsleitung (GL) gestärkt. Diese hat neu neben dem Verwaltungsrat (VR) an der GV ein Teilnahme- und Äusserungsrecht. Im Gegensatz zum VR darf die GL allerdings keine Anträge stellen.
Der Verwaltungsrat
Die Wahl in den VR erfolgt neu als Einzelwahl, es sei denn, die Statuten oder die Aktionäre (mit Zustimmung aller) sehen eine andere Regelung vor.
Börsenkotierte Gesellschaften müssen sich zudem an Geschlechterrichtwerte halten. Im VR soll jedes Geschlecht zu mindestens 30 %, in der GL zu mindestens 20 % vertreten sein. Eine Sanktion ist bei Nichterreichen der Richtwerte nicht vorgesehen, doch müssen im Vergütungsbericht die Gründe dafür und die beschlossenen Massnahmen offengelegt werden.
Mitglieder von VR und GL machen sich strafbar, wenn sie unzulässige Vergütungen nach Obligationenrecht (OR) ausrichten oder beziehen.
Die Sanierungsmassnahmen
Die neue liquiditätsbezogene Optik ist sinnvoll, denn Illiquidität führt erfahrungsgemäss häufiger zum Zusammenbruch eines Unternehmens als eine (vorübergehende) Überschuldung. Der VR muss die Zahlungsfähigkeit überwachen und Massnahmen beschliessen. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Zahlungsverpflichtungen in den nächsten sechs Monaten nicht erfüllt werden können. Nicht verlangt wird eine eigentliche Liquiditätsplanung.
Ein Kapitalverlust liegt nach neuem Recht vor, wenn die Aktiven abzüglich der Verbindlichkeiten die Hälfte der Summe aus Aktienkapital und nicht ausschüttbarer gesetzlicher Kapital- und Gewinnreserve nicht mehr decken. Der Entscheid über die notwendigen Sanierungsmassnahmen liegt neu primär beim VR.
Eine Überschuldung liegt vor, wenn die Aktiven das Fremdkapital nicht mehr decken können. Bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung muss der VR eine Zwischenbilanz erstellen und diese prüfen lassen.
Ist eine AG überschuldet, verlangt das Gesetz die Benachrichtigung des Gerichts. Ein Aufschub ist zulässig, falls begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innerhalb angemessener Frist und jedenfalls spätestens innerhalb von drei Monaten behoben werden kann (was in komplexen Situationen kaum reichen wird). Eine Benachrichtigung des Richters kann auch unterbleiben, wenn einzelne Gläubiger einen Rangrücktritt erklären, d.h. wenn sie mit ihren Forderungen im Umfang der Überschuldung hinter diejenigen aller übrigen Gläubiger im Rang zurücktreten.
Die Aktionärsrechte
Die Schwellenwerte für die Geltendmachung von Minderheitenrechten wie etwa dem Recht auf Traktandierung eines Verhandlungsgegenstandes für die GV oder auf Veranlassung einer Sonderuntersuchung werden herabgesetzt. Die Informationsrechte der Aktionäre werden massvoll verstärkt, wobei im Zweifel den legitimen Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft auch weiterhin der Vorrang zukommt.
In nicht-börsenkotierten Gesellschaften erhalten Aktionäre, welche über mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmen verfügen, auch ausserhalb der GV ein Recht auf schriftliche Auskunft des VR über die Angelegenheiten der Gesellschaft. Ein Einsichtsrecht in die Geschäftsbücher besteht in allen Gesellschaften für Aktionäre mit mindestens 5 % des Aktienkapitals oder der Stimmen.
Erleichtert werden auch die Klagemöglichkeiten von Minderheiten; es muss kein Schaden mehr glaubhaft gemacht werden. Die Glaubhaftmachung einer Verletzung von Gesetz oder Statuten, welche geeignet ist, die Gesellschaft oder die Aktionäre zu schädigen, reicht aus.
Die Umsetzung der Abzocker-Initiative (bisher in Verordnung, neu im Gesetz) wirkt sich ebenfalls aus. Neu ist die GV (statt wie bisher der VR) bei börsenkotierten Gesellschaften zuständig für die Festlegung der Gesamtvergütung für den VR einerseits und die GL andererseits (sowie einen allfälligen Beirat). Überdies ist sie zwingend zuständig für die Wahl der Verwaltungsratspräsidentin sowie eines aus Mitgliedern des VR zusammengesetzten Vergütungsausschusses und der unabhängigen Stimmrechtsvertreterin.
Gut zu wissen
Eigene Aktien werden nicht mehr wie bisher aktiviert (mit entsprechender Reservebildung auf der Passivseite), sondern als Minusposten des Eigenkapitals ausgewiesen. Die Bilanz wird also neu um den Wert der eigenen Aktien verkürzt.
Bei der ordentlichen Kapitalerhöhung stellt neu der VR direkt im Beschluss fest, dass keine anderen als in den Beilagen genannten Sacheinlagen, Verrechnungstatbestände oder besonderen Vorteile bestehen. Die Unterzeichnung der sogenannten «Stampa-Erklärung» entfällt damit.
Das Kapitalband als neues Rechtsinstitut ist eine Kombination aus genehmigter Kapitalerhöhung und genehmigter Kapitalherabsetzung. Die GV kann den VR mittels entsprechender Statutenbestimmung ermächtigen, das Aktienkapital während max. fünf Jahren innerhalb einer vorgegebenen Bandbreite (Kapitalband) zu verändern, d.h. bis zur oberen Grenze zu erhöhen und/oder bis zur unteren Grenze herabzusetzen. Die obere Grenze des Kapitalbands darf das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital um max. 50 % über-, die untere Grenze das eingetragene Aktienkapital um max. 50 % unterschreiten.
Fazit
Das neue Aktienrecht bietet digitale Möglichkeiten, der GV werden mehr Rechte eingeräumt, Minderheitenrechte werden gestärkt und Strafbestimmungen verschärft. Es gilt, die bestehenden Statuten rechtzeitig zu überprüfen und bei Bedarf an das neue Recht anzupassen. Der VR muss die Verantwortung übernehmen und die GL über die neuen Themen rapportieren lassen.