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Unternehmen neu gedacht  

Regionalität vs. Globalisierung im Arbeitsmarkt

Noch vor wenigen Jahren waren Unternehmen hoch im Kurs, die ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit boten, für sie im Ausland tätig zu sein. Wir sprechen von der Generation Baby-Boomer (1945 – 1964) und der Generation X (1965 – 1980). Nicht nur Führungskräfte, sondern auch
Mitarbeitende auf allen Hierarchiestufen erachteten die Ausland­erfahrung als eine sehr hohe Priorität in ihrer Karriere. Zwar sind die jüngeren Generationen Y und Z nach wie vor daran interessiert, für ihre Arbeitgebenden Landesgrenzen zu überschreiten, aber die Motivation und die dazu nötigen Anreize haben sich drastisch verändert.

Mit gutem Grund, denn die dort gemachten Erfahrungen waren in jeglicher Hinsicht Gold wert! Auch bei der Stellensuche hatten Mitarbeitende mit Auslanderfahrung vielfach einen klaren Vorteil gegenüber Mitbewerbenden. Damals war Reisen schlicht noch keine (bezahlbare) Selbstverständlichkeit.

Auslandeinsatz wird neu bewertet

Gemäss Erfahrung aus meinem Rekrutierungsalltag schwindet der Wunsch nach einem Auslandaufenthalt seitens der Arbeitnehmenden ab der Generation Y (1980 – 1998) markant. Sie machen, anders als die Generation der Baby-Boomer, schon sehr früh und regelmässig «Auslanderfahrungen». Angefangen bei den Familienferien quer durch Europa oder darüber hinaus über obligatorische Sprachaufenthalte während der Schule bis zu längeren Auszeiten mit dem Rucksack. Kaum verwunderlich, dass auch diverse neue Studien bestätigen: Für die Mitarbeitenden der Generation Y und Z steht die Arbeit im Ausland nicht mehr an erster Stelle beim «Attraktivitätstest». 

Für die Mitarbeitenden der Generation Y und Z steht die Arbeit im Ausland nicht mehr an erster Stelle beim «Attrak­tivitätstest».

Veränderungen in der Rekrutierung

Was hat sich in der Rekrutierung und Personalentwicklung verändert? Sehen heutige Führungskräfte und Mitarbeitende die Entsendung einfach als logische Folge dieser schon früh erfolgten individuellen «Internationalisierung»? Ist der grosse Karriereschritt ins Ausland zum «Katzensprung» geworden? Hat der Auslandseinsatz für die Generationen X und Y sowie für die neu in den Arbeitsmarkt kommende Generation Z eine ganz andere Bedeutung als für die Baby-Boomer? 

Knackpunkt Auslandentsendungen

Trotz dieser Verschiebung der Prioritäten und der Zunahme der «Globalisierung» im Privatleben, in Wirtschaft und Politik ist ein klarer Anstieg von Entsendungen erkennbar. Internationales Personalmanagement wird für Unternehmen immer wichtiger. Dies zeigt meine eigene Erfahrung aus dem Interim-Management, wie auch aus internationalen Rekrutierungsmandaten; aber auch eine Studie der KPMG, «Global Assignment Policies and Practices Survey» von 2018. Sie macht deutlich, dass 63% der Unternehmen mit einem Anstieg von kurzfristigen und 25% mit einer Zunahme von langfristigen Entsendungen ins Ausland rechnen. Talente können dadurch für Auslandeinsätze einfacher gefunden und gehalten werden. 

Die Generationenfrage

Nun, die Rekrutierung und die Bindung von Arbeitnehmenden ab Jahrgang 1990 (Z) bringt neue Herausforderungen für Unternehmen und Führungskräfte mit sich. Personalmarketing wird immer mehr an Bedeutung gewinnen, da die Generation Z aufgrund des demographischen Wandels «ein knappes Gut» darstellt, um das sich die Unternehmen vermehrt bemühen und kreativer am Arbeitsmarkt auftreten müssen. Ein Umzug für einen neuen Job ist allerdings eher undenkbar. Die überdurchschnittlich intrinsisch motivierte Gen Z stellt das Privatleben in den Vordergrund, was einem Auslandeinsatz oft entgegensteht. Aufgrund des Wertewandels bei den Generationen Y und Z müssen sich Unternehmen die Frage stellen, zu welchen Bedingungen die Generation Z in Zukunft bereit wäre, ins Ausland zu gehen und welche Anreize diese Bereitschaft am erfolgreichsten erhöhen würden. Denn im Laufe meiner Tätigkeit als Headhunterin bemerke ich immer häufiger: Während Unternehmen mit einer Zunahme der Auslandentsendungen rechnen, sinkt gleichzeitig die Bereitschaft der Mitarbeitenden dafür. Während im Jahre 2017 noch 25% der Mitarbeitenden eine hohe Bereitschaft zeigten, international tätig zu werden, waren es 2020 nur noch 18%. Nur 15% waren motiviert, endgültig ins Ausland zu ziehen. Bei circa der Hälfte der Kandidat:innen höre ich auch, dass ein Arbeitgeber:in trotz Anreizen wenig Chancen habe, sie von einer Auslandentsendung zu überzeugen. Für die Personalentwicklung ist es zunehmend schwierig, abzuschätzen, was Mitarbeitende dazu motiviert. 

Unternehmen sollten sich also den Umstand bewusst machen, dass viele Fachkräfte heimat­verbunden sind und nach wie vor mehrheitlich in ihrer Region nach einem Job Ausschau halten.

Regionalität im Recruiting

Wenn wir die KMU-Landschaft der Schweiz analysieren, bemerken wir, dass viele Unternehmungen einen Standort haben, der sich hinsichtlich Attraktivität auf den ersten Blick nicht mit Zürich, Bern oder Luzern messen kann. Wie kommen nun aber Firmen in solchen Regionen an die gesuchten Fachkräfte?

Unter unseren Schweizer KMU gibt es viele buchstäbliche «hidden champions», die sich vor grösseren Unternehmen in urbanen Gebieten ganz und gar nicht verstecken müssen. Allerdings müssen sie ihr Potenzial als attraktiver Arbeitgeber entsprechend kommunizieren. Und da hapert es bei vielen. Die Botschaft muss sein: Ja, wir sind auf dem Land und eher abgelegen, aber eben nicht provinziell; und wir sind zum Beispiel für junge Familien höchst attraktiv. Der vermeintliche Standortnachteil kann dann auch zum wichtigen Vorteil werden, wenn man sich mit seiner Region und den Wünschen und Bedürfnissen seiner Zielgruppe auseinandersetzt. Es gibt sehr viele Fachkräfte, die in einer kleinen Stadt oder auf dem Land wohnen und von den Vorzügen des Landlebens durchaus überzeugt sind. Im Zuge des Fachkräftemangels können sich die Betreffenden ihren Arbeitsplatz inzwischen aussuchen – auch in der eigenen Umgebung. Für Unternehmen hört das Recruiting daher nicht beim Erstellen und Aufschalten von Stellenanzeigen nach dem Hoffnungsprinzip «post and pray» auf, sondern dort beginnt die Arbeit erst richtig.

Regionale Potenziale des Arbeits­marktes ausschöpfen

Unternehmen sollten sich also den Umstand bewusst machen, dass viele Fachkräfte heimatverbunden sind und nach wie vor mehrheitlich in ihrer Region nach einem Job Ausschau halten. Das heisst, Arbeitgeber müssen in der Regel das Fachkräftepotenzial «vor der eigenen Firmentür» optimal ausschöpfen. Das mag erst einmal nicht so prickelnd klingen, aber «Employer Branding» bringt Chancen für Unternehmen: Bin ich aktuell der Arbeitgeber der Wahl in der Region? Was biete ich potenziellen Kandidat:innen? Sind meine Mitarbeitenden zufrieden, und was kann ich dafür tun, um ihre Zufriedenheit zu steigern, damit sie diese Botschaft auch nach aussen tragen? Für Fachkräfte aus anderen Regionen brauchen Arbeitgeber möglichst gute Argumente und Angebote. 

Im Zuge der Digitalisierung könnte man meinen, Heimat sei dort, wo das WLAN ist. Gerade die Generation Internet sollte keine Angst davor haben, für den Traumjob mobil zu sein und bereitwillig umzuziehen. Zumindest bei den meisten Unternehmen steht Mobilität weit oben auf der Wunschliste, wenn es darum geht, die Merkmale des idealen Kandidat:in zu beschreiben. 

Das Einkaufsverhalten der Menschen zeigt, dass sie wieder vermehrt ein Bedürfnis nach einer Verbindung zu ihrer Region oder Heimat haben. Ihre Lebensplanung wollen sie weitgehend an ihrer Region ausrichten. Das schliesst die Arbeitsstelle natürlich mit ein. Entsprechend klein fällt somit auch der Radius bei der Jobsuche aus. Die Priorität ist klar: Der Job richtet sich nach der Heimat, Familie und Freunde gehen vor. 

Dies bedeutet für die Unternehmungen, dass sie sich auf den regionalen Kandidatenpool fokussieren müssen. Unternehmen, die talentierte Arbeitskräfte aus anderen Regionen zum Umzug motivieren wollen, müssen echte Anreize schaffen und sich optimal präsentieren. Solches ist nur mit einem gezielten und massgeschneiderten Employer Branding zu erreichen. Aber egal von welcher Generation wir sprechen – es wird immer Menschen geben, die die Ferne suchen und solche, die ihr zu Hause schnell vermissen und immer lokal verankert sein wollen. 

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