Zum Hauptinhalt springen
Unternehmen neu gedacht  

Sie haben vor einem halben Jahr eine Eigentumswohnung gekauft. Stolz und voller Vorfreude haben Sie sich gemütlich und hübsch darin eingenistet, bewundert von Familie und Freunden. Als Sie eines Tages das WC spülen, entdecken Sie kurz darauf am Boden entlang der Rückwand eine Wasserlache. Hat die Schüssel einen Sprung? Oder drückt das Wasser etwa durch die geflieste Wand? Wie lässt sich die Ursache finden und wer ist dafür verantwortlich? 

Ein Haus zu bauen, ist ein risikoreiches wirtschaftliches Unterfangen. In den letzten Jahren hat die Komplexität des Bauens weiter zugenommen. Dafür verantwortlich sind unter anderem bautechnische Entwicklungen, rechtliche und gesetzliche Rahmenbedingungen sowie immer höhere ökologische Anforderungen und steigender Termindruck. Wie also können sich Auftraggebende und Bauherrschaft gegen mögliche Risiken und Streitigkeiten absichern?

Hier kommt es ganz darauf an, wie gut sich die beteiligten Parteien vor Baubeginn abgesprochen haben. Wie in allen Lebensbereichen gibt es jedoch auch beim Bauen keine hundertprozentige Sicherheit. Das Zusammenwirken von zahlreichen Berufsgattungen auf der Baustelle macht eine minuziöse Planungsarbeit notwendig und verlangt permanente Überwachung. Grundsätzlich gliedert sich die Realisierung von Bauprojekten in vier Phasen der Leistungserstellung: Angebot, Verhandlung, Ausführung und Abnahme. Für die erfolgreiche und möglichst fehler- und mängelfreie Übergabe eines Bauwerks an die Auftraggeberin beziehungsweise an die Bauherrschaft sind die Verhandlungs- und die Abnahmephase genauso wichtig wie die Ausführung. Sie stehen im Fokus dieses Beitrags.

Da bei der Abnahme allfällige im Vorfeld getätigte Fehler nicht mehr oder nur mit grossem Aufwand korrigiert werden können, sind die Verhandlungen von grosser Bedeutung. In dieser Phase werden der spätere Bauvertrag und das Bau-Soll in Form von Qualität, Kosten und Terminen fixiert. Hier wird – im Gegensatz zum gebauten – sozusagen das vertraglich-schriftliche Fundament für das Bauwerk gelegt. Dieser bildliche Vergleich zeigt die Wichtigkeit der Vereinbarungen: Sind diese lückenhaft, ungenau oder zu wenig vorausschauend, steht das Ergebnis des Projektes von vornherein auf wackligem Grund. Vor allem aber wird es der Auftraggeberin nicht den Nutzen und die Freude bringen, die sie für ihre hohen Investitionen erwartet. 

Das Risiko ist die «Summe aller Kleinigkeiten»

Ganz wichtig für die Verantwortlichkeiten zwischen Auftraggeberin und -nehmer ist die Form der Zusammenarbeit: Ein direkter Auftrag vom Bauherrn an den Planer/Architekten im Rahmen eines Architektenvertrags ist in der Regel die «einfachste» und in der Praxis meistgewählte Lösung. Der Vertrag regelt die Zusammenarbeit und ist die Grundlage für den folgenden Entscheidungsprozess. In diesem arbeiten die beiden Parteien eng zusammen und entscheiden viele Dinge gemeinsam. So zum Beispiel die Wahl der Handwerker und Lieferanten. Der Bauherr übernimmt hier eine aktive Rolle bei der Realisierung und trägt damit einen wesentlichen Teil des Risikos.

Ganz anders verhält sich dies bei General- oder Totalunternehmerlösungen. Hier übernimmt der Unternehmer als Auftragnehmer den grössten Teil des Risikos. Je mehr Aufgaben und Verantwortung an die Auftragnehmerin delegiert oder abgetreten werden, entsprechend mehr Geld wird der Unternehmer für seine Leistungen verlangen. Mit anderen Worten: Je sorgloser das Paket, desto teurer! Entsprechend wichtiger wird in diesem Fall die Verhandlungsphase. Vor allem der Preis wird aus unterschiedlicher Perspektive auch unterschiedlich interpretiert: Die Bauherrin erachtet die vereinbarte Gesamtsumme sehr wahrscheinlich als Maximal-, der Unternehmer hingegen als Minimalpreis. Denn jede Änderung während der Bauphase kostet, und Änderungen gibt es fast immer, auch wenn es sich nur um vermeintlich kleinere Dinge wie beispielsweise die Öffnungsrichtung einer Türe handelt. Um das Risiko von unüberschaubaren Mehrkosten zu verhindern, ist eine Voraussetzung, dass die Beteiligten im Vorfeld möglichst viele Details definiert haben. Damit kann bei Änderungen die Abweichung von der ursprünglich vereinbarten Leistung tatsächlich beziffert werden, bevor Änderungen ausgelöst werden. Dadurch kann das Risiko für die Bauherrschaft wesentlich verringert werden. Diesem Prozess ist grösste Achtung zu schenken, auch wenn die meisten Änderungen im Einzelfall als überschaubare Kleinigkeit erscheinen. Das Risiko besteht in der Summe solcher «Kleinigkeiten». 

Für Altlasten im Baugrund haftet der Verkäufer

Risiken aus der Vertrags-, kaufmännischen und technischen Analyse sollten im Sinne der Risikobewältigung zwischen den Vertragsparteien gründlich besprochen werden. Dazu gehören etwa – ganz aktuell – die stetig anhaltende Preisentwicklung aufgrund von Teuerung und Lieferengpässen sowie die Verfügbarkeit von Baumaterialien generell. Was den Ukraine-Krieg angeht, besteht noch Rechtsunsicherheit: Es gibt zurzeit noch kein Gerichtsurteil darüber, ob er juristisch als Grund für Lieferstopps oder Bauverzögerungen gilt. Ein grosser Risikofaktor ist, vorwiegend bei Neubauten, der Baugrund; bei Umbauten und Sanierungen hingegen das Vorkommen von Bauschadstoffen. In allen Fällen empfiehlt sich, im Vorfeld eine eingehende Untersuchung durchzuführen, um vor unliebsamen Überraschungen möglichst verschont zu bleiben, die in den meisten Fällen mit sehr hohen Mehrkosten verbunden sind. In Bezug auf den Baugrund bzw. darin vorkommende Altlasten ist ein Aspekt besonders zu beachten: Die Haftung für Altlasten geht bei einem Grundstückverkauf nicht an den Käufer über! 

Es ergibt also Sinn, vor Baubeginn auf die Risikoverteilung zu achten. Dabei gilt: Jeweils derjenige soll ein Risiko übernehmen, der am besten in der Lage ist, es zu kontrollieren und finanziell zu tragen. Übernimmt eine Partei ein bestimmtes Risiko, muss sie dafür vergütet werden. Die besprochenen Punkte müssen im Vertrag unmissverständlich formuliert sein; Widersprüche in den Ausschreibungsunterlagen sollten eliminiert werden, da dies in der Bauausführungsphase zu Streitigkeiten führen kann. In der Verhandlung nachgereichte Unterlagen müssen gründlich geprüft werden.

Streitigkeiten führen meist zu Mehrkosten

Vertraglich mag ein Bauprojekt noch so wasserdicht sein – jedoch erst bei der Abnahme zeigt sich, ob alles so abgeliefert wird wie bestellt. Erst jetzt lässt sich die Qualität der Vertragsverhandlungen erkennen. Je mehr Lücken und Unklarheiten diese beinhalten, desto mehr Diskussionen sind vorprogrammiert – und damit meistens auch Mehrkosten. In diesem Fall lohnt es sich, einen unabhängigen Experten beizuziehen, der die Arbeiten mit der nötigen Distanz beurteilt. Die Abnahme eines Bauwerks nach Vollendung sowie die Teilabnahme einzelner Bauteile während der Ausführung sind jeweils gut vorzubereiten. Bereits bei den Vertragsverhandlungen ist auf eine einheitliche Garantielaufzeit bei den verschiedenen Gewerken zu achten. Die Planung der Schlussabnahme beginnt somit bereits vor dem eigentlichen Baubeginn. Sie wird mehrere Monate vor Fertigstellung eines Bauvorhabens vorbereitet. Die erforderlichen Dokumente sind mit dem Auftraggeber frühzeitig abzustimmen und entsprechend aufzubereiten; alle notwendigen Bescheinigungen durch Behörden und Gutachter sind vorzulegen. Nach der Abnahme gehen Gefahren und die Beweislast vom Auftragnehmer an den Auftraggeber über und die Gewährleistungsfrist beginnt.  

Risiken in den weiteren Projektphasen

Angebotsphase 

  • Ist der Auftraggeber bekannt (gute Erfahrungen, hohe Bonität, entscheidungsfreudig usw.)?
  • Sind die Beteiligten (Architekt, Projektsteuerung) bekannt?
  • Ist der Wettbewerb gering?
  • Hat das Unternehmen Erfahrung mit dem speziellen Produkt (z.B. Einkaufscenter)?
  • Ist eine geeignete Mannschaft vorhanden?
  • Existieren No-Go- bzw. K.o.-Kriterien?
  • Ist der Vertragsentwurf akzeptabel?

Ausführungsphase

  • Soll/Ist-Abgleich der Termine für Planung AG/AN/NU, für Ausschreibung und Beauftragung
  • von Nachunternehmern, für Bauausführung, für vertragliche Termine 
  • Verspätungen aufzeigen, analysieren und Massnahmen zum Aufholen einleiten
  • Soll/Ist-Abgleich Leistung, Kosten, Zahlungseingang, Zahlungsausgang
  • Qualitätskontrollen anhand von Checklisten für kritische Gewerbe durchführen
  • Audits von erfahrenen Mitarbeitern durchführen lassen
  • Kennwerte ermitteln und aussagekräftig darstellen 

Begrifflichkeiten

Norm SIA 118

Die Norm SIA 118 Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten enthält Regeln betreffend Abschluss, Inhalt und Abwicklung von Verträgen über Bauarbeiten. Vertragsparteien sind einerseits die Unternehmungen, andererseits die Bauherrschaft, die in der Regel vom Architekten oder von der Architektin vertreten wird. Die Norm ergänzt die allgemeinen Regelungen des gesetzlichen Werkvertragsrechts (Artikel 363 bis 379 OR) für das Baugewerbe. Ihre Anwendung ist zwar freiwillig, doch wird sie in der Schweiz fast flächendeckend befolgt. Sie hat sich bewährt und gilt als zwischen den Vertragsparteien ausgewogen.
Diesen Artikel teilen