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Unternehmen neu gedacht  

Den Leuten zur Seite stehen, statt sie zu führen

Für André Lüthi bedeutet Führung, den Mitarbeitenden zur Seite zu stehen und ihnen Vertrauen zu schenken. Von strikten Vorgaben und ständigen Kontrollen hält er wenig. Mit dieser Führungskultur hat er die Globe­trotter Gruppe zum viertgrössten Reiseunter nehmen der Schweiz gemacht. Beim Business-Insight von Swissconsultants.ch in Bern berichtete er im Februar von seinen Führungserfahrungen.

«Schon als kleiner Bub wollte ich immer wissen, was hinter dem nächsten ‹Hoger› ist, sagt André Lüthi, langjähriger CEO und heutiger Verwaltungsratspräsident der Globetrotter-Gruppe.

«Schon als kleiner Bub wollte ich immer wissen, was hinter dem nächsten ‹Hoger› ist, sagt André Lüthi, langjähriger CEO und heutiger Verwaltungsratspräsident der Globetrotter-Gruppe.

Im Freiburgischen aufgewachsen, hatte er eine olympische Karriere im Sinn, lernte Bäcker, um genügend Zeit zum Trainieren zu haben, scheiterte aber an der Qualifikation. «Mein grosser Traum war geplatzt und ich wusste nicht, was ich tun sollte.» Er entschied sich fürs Autostöppeln nach Amerika. Diese Reise, die er mit einem Karton – drauf stand «San Francisco» – an einer Autobahnzufahrt in der Schweiz begann, hat ihn um die ganze Welt geführt und Globetrotter gross gemacht. «Mich interessieren die Erfahrungen, die man beim Reisen macht», sagt Lüthi. Andere Menschen, deren Lebensweise, Kulturen und Werte. Wer reist, verlässt die Kreise, die er gezogen hat, lässt die Komfortzone hinter sich und lässt sich auf Neues ein. Das gilt auch für die Reise eines Unternehmens und die Führung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Was wir in der Führung machen, ist eher ein Coaching und eine Begleitung, als das, was man so landläufig unter Führung versteht.» Mikromanagement, Führen mit quantitativen Ziele? Das ist nicht der Globetrotter-Stil.

Reisen statt Ferien

Innerhalb der letzten drei Jahrzehnte ist aus der kleinen Reiseagentur Globetrotter der viertgrösste Schweizer Reisekonzern geworden. Der Sound der ersten Jahre war links, alternativ, studentisch. Man reiste mit Rucksack und wollte, wenn man in andere Länder fuhr, auf alle Fälle etwas anderes erleben, als einfach den Touristenblick auf das Fremde zu werfen. Reisen statt Ferien, heute noch ein Slogan der Globetrotter Gruppe, war angesagt. So gross das Unternehmen geworden ist, der Sound ist der gleiche geblieben. Die unterschiedlichen Managementmethoden des letzten Vierteljahrhunderts – TQM, agiles Management mit Tribes und Squads – sind an Globetrotter spurlos vorbeigegangen. Was hier zählt, ist die Begeisterung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Sache, für das Reisen. «Wer bei uns arbeiten will, bringt breit gefächerte, mehrmonatige Reiseerfahrung mit», sagt er. Europareisen, sozusagen die Vorgartenausflüge, zählen nicht. Wer hier arbeitet, muss vom Reisen «angefressen» sein. Die Reiseerfahrungen sorgen dafür, dass die Mitarbeitenden vom Reiseziel etwas aus eigener Anschauung verstehen. Nur so lassen sich Kundinnen und Kunden kompetent beraten. «Wer sich bei Globetrotter eine Reise nach Borneo oder Namibia zusammenstellen lässt, wird idealerweise von jemandem betreut, der auch schon dort gewesen ist und die Verhältnisse kennt.» Diese persönliche Erfahrung der Beraterinnen und Berater ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal von Globetrotter. Flüge, Hotels, Unterkünfte bei Privaten und Safaris lassen sich im Internet buchen. Die Beratung von Leuten jedoch, die das Land aus eigener Anschauung kennen, gibt es dort nicht. «Die macht heute immer mehr den Unterschied aus.» Die Tourismusbranche teilt sich in zwei Bereiche: die Ferienindustrie des Internets und das individualisierte Reisen – eben die Domäne von Globetrotter.

Den Beruf aus Begeisterung ausüben

Wer bei Globetrotter arbeitet, muss begeistert sein vom Reisen. Ein Nine-to-Five-Job ist das nicht. Damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zeit zum Reisen haben, gehören zwei Monate des Jahres unbezahlte Ferien zu den Anstellungsbedingungen. Egal, ob als CEO einer Tochterfirma (über ein Dutzend) oder als Beraterin in einer Filiale: Genügend Zeit zum Reisen haben alle. Der reduzierte Lohn ist der Preis, den sie für ihre Begeisterung zahlen. Eine Führungskraft, die längere Zeit nicht da ist – geht das überhaupt? «Wer als Chef behauptet, dem Geschäft nicht länger als zwei Wochen fernbleiben zu können, macht etwas falsch und hat seinen Laden nicht im Griff», sagt Lüthi. Die Begeisterung für den Job ist zentral, um erfolgreich zu sein. Auch wenn es mittlerweile etwas abgegriffen klingt, muss man für seinen Beruf und für seine Aufgabe brennen.
Die Führungsgrundsätze und Wertvorstellungen von André Lüthi sind – gemessen am heutigen Management-Zeitgeist mit ständigen Kontrollen, Reportings und dem Abwälzen von Verantwortung – ein bewährtes Erfolgsrezept der Gruppe. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Prozesse, Standards, Checklisten bei der Rekrutierung? «Eher nicht», sagt Lüthi. Er verlasse sich lieber auf sein Bauchgefühl. Man müsse überzeugt sein, dass eine Person für eine Position die richtige sei. Und dabei helfen die Angaben in einem CV nicht wirklich weiter. Die Wahl seines Nachfolgers traf er auf diesem Weg. Er war mit ihm mehrere Wochen auf einer Expedition im Himalaya unterwegs. «Bei einer solchen Herausforderung lernt man einen Menschen gut kennen und sieht, wie er unter Belastungen reagiert, mit Fehlern umgeht und Entscheidungen trifft.» Noch im Himalaya fragte er ihn, ob er interessiert sei, berichtet Lüthi. Die Entscheidung war richtig, andere Personalentscheidungen nicht. «So ist das eben. Eine Fehleinschätzung von mir», sagt Lüthi. Man meint, das nicht ausgesprochene «so what?» zu hören.

Mehr Bauchgefühl und Risiko wagen

Mit dem Bauch Entscheidungen zu treffen, klingt zunächst einmal nach Willkür, nach Nicht-Nachvollziehbarkeit, nach wenig Rationalität und vielen Fehlern. Vielleicht ist es aber genau die Methode, um bessere, weil rundherum abgewogene Entscheidungen zu treffen. Wer Entscheidungen trifft, nachdem die Kästchen in einem Anforderungsprofil abgehakt sind, hat eventuell doch nicht alle Informationen eingeholt, die es für ein fundiertes Ja oder Nein braucht. «Man muss sich Zeit nehmen, noch einmal mit der Kandidatin reden, über die Sache schlafen, bis man sich sicher ist», sagt Lüthi. Klar ist, dass diese Sicherheit nicht in einem strukturierten, ISO-konformen Prozess erreicht werden kann. Der Entscheider muss sich seiner Sache sicher sein. Er muss von seiner Wahl überzeugt sein. «Das ist bei Globetrotter auf allen Ebenen ein allgemeiner Führungsgrundsatz: Sich sicher sein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.» Als Chef fragt man nach, ordnet nicht an.
Budgets werden bei Globetrotter «bottom up» gemacht, Vorschläge für Investitionen kommen von unten. Die Aufgabe der Führung besteht dann darin, zuzuhören. Welche Ideen stecken hinter dem Vorschlag, stimmt die Argumentation, welche Gründe sprechen dafür, welche dagegen? Vor allem: Ist die Mitarbeiterin überzeugt, dass das richtig ist? Dafür muss man lange Gespräche führen und am Schluss sagen: «Okay, wenn du überzeugt bist, dass das richtig ist, machen wir das.»
Selbstverständlich ist das keine Garantie für die richtige Entscheidung, wo gibt es die schon? Doch es ist eine Art, Entscheidungen zu treffen, bei der die Verantwortung nicht nach oben delegiert wird, sondern dort bleibt, wo sie hingehört. Das bedingt allerdings auch eine andere Fehlerkultur. «Man muss mit Fehlentscheidungen leben können», sagt Lüthi. Fehler vermeiden gehe nun einmal nicht und deshalb sei es wichtig, dass alle Mitarbeitenden wissen, dass Fehler weder das Ende der Welt noch das der eigenen Karriere sind. Im Gegenteil: Sie führen den Blick in der Regel hinter den nächsten «Hoger».

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