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Unternehmen neu gedacht  

Nachfolge und Neupositionierung: Eine Werbeagentur findet den Weg in die Zukunft

Wie die Aarauer Werbeagentur Baldinger & Baldinger AG ihre Nachfolge geregelt und sich für die digitale Zukunft neu positioniert hat. Lucas Galli, einer der Nachfolger, stellte Vital Baldinger, dem ehemaligen Inhaber, 13 konkrete Fragen zum Thema Nachfolge. 

Wann hast du dich erstmals mit der Nachfolge/Geschäftsübergabe befasst? 

Angefangen hat es lustigerweise schon mit der Gründung 1995. Wir unterschrieben beim Anwalt die Aktienzertifikate, als er fragte: «Wissen Sie schon, wie Sie die Unternehmung wieder beenden?» Ich war verblüfft, gleich zu Beginn über das Ende nachdenken zu müssen. Meine Antwort: Das hat noch Zeit, schauen wir, wie weit wir kommen. Und doch liess mich die Frage nicht mehr los.

Was war die zentrale Idee der Nachfolgekonzeption?

Als meine Frau und Mitbegründerin Kathrin Baldinger aus dem Leben gerissen wurde, war es so weit, sich ernsthaft Gedanken zu machen. Für mich war klar: Ein weiterer Schritt muss auch eine Unternehmensentwicklung auslösen. Mein Ziel als Gründer war, ein kleiner Fixstern im Kommunikationsuniversum zu werden, an dem sich Kunden einfach orientieren können. 

Zentrale Idee des Nachfolgekonzeptes war, unternehmerisch denkende Fachleute zu finden, die das Leuchten des Fixsterns bewahren und verstärken. Dabei standen unsere Ideale und Werte als lebendiges und doch bodenständiges Familienunternehmen im Vordergrund – nicht das Geld. Es sollen risikobereite, visionär denkende Persönlichkeiten sein, die ein Unternehmen führen und weiterentwickeln, auch wenn sie finanziell nicht etabliert sind. Kein Konzern, kein Netzwerk und keine Spekulanten. Und ganz wichtig: Es sollen Menschen sein, die den Spirit, der den bisherigen Unternehmenserfolg möglich gemacht hat, im Herzen tragen und täglich umsetzen.

Warum übergeben und nicht verkaufen?

Ein Käufer, der seinen Umsatz oder seine Marktstellung durch den Zukauf einer Werbeagentur optimieren will, passt nicht zu uns. Es wäre auch nicht möglich, unseren Unternehmensgeist als Convenience-Food zu betrachten. Wir kochen jedes Menü mit unserem Team täglich neu, mit marktfrischen Zutaten, die uns inspirieren und einzigartige Ergebnisse entstehen lassen.

Nach dem Führungskonzept «Helden lassen sich helfen» zogen wir einen Berater bei, der unserer KMU-Philosophie entspricht, unsere Sprache spricht, Verständnis für Familienunternehmen und selbst die Erfahrung einer Nachfolge miterlebt hat. Ich habe auch gelernt, auf mein Bauchgefühl zu hören, um den richtigen Weg zu finden. Natürlich erstellten wir trotzdem ein Programm, einen Zeitplan und einen Kriterienkatalog zur professionellen Führung und Umsetzung.

Inwieweit schwang Vertrauen im Nachfolgeprozess mit?

Vertrauen, Verantwortung und Freude sind die Begleiter einer Nachfolge. Bewertungen, Assessments, Businesspläne usw. sind zwar zur Abwägung akkurate Hilfsmittel, schlussendlich sind Entscheide immer wieder emotional und damit abgestützt auf Vertrauen.

Welche Rolle spielte das Geld?

Eine grosse und eine kleine. Zuoberst stand die Eignung der Persönlichkeiten und erst dann das Geld. Wir prüften verschiedene Finanzinstitute. Schlussendlich fanden wir eine verständnisvolle Bank, die uns Vertrauen entgegenbrachte. Der Kaufpreis stand nicht im Mittelpunkt; wichtig war eine tragbare, zukunftssichere Finanzierung, die den Käufern genügend Luft liess.

Wie war der Ablösungsprozess?

Dank klarem Ablauf, Timing und klarer Aufgabenverteilung konnten wir den dreijährigen Prozess vernünftig realisieren. Zwischen dem Loslassen und Übernehmen kam es immer wieder zu Neubeurteilungen und Anpassungen. Es brauchte Augenmass, Ehrlichkeit und Verständnis. Es gab mehr Besprechungen, mehr Abstimmung, mehr interne Kommunikation und Schulung als angenommen. 

Gab es Konflikte?

Dank einem intensiven Strategieprozess mit dem Führungsteam und den Mitarbeitenden konnten wir vieles abfangen, diskutieren, neu beurteilen und gemeinsam umsetzen. Dass es dabei zu Unklarheiten, Erwartungsdifferenzen, Abgrenzungsbereinigungen kam, ist klar. Das Ziel war jedoch immer eine erfolgreiche Unternehmung mit einem erfolgreichen Führungsteam. 

Welches waren die wichtigsten Schritte?

Nach dem Ja zu einer gemischten Nachfolgelösung mit internen und externen Leuten wurden auf Basis der geschärften Strategie das Organigramm, die Führung und die Verantwortlichkeiten bestimmt. Wir haben meinen Rückzug terminiert und kommuniziert. In bilateralen Gesprächen haben wir den Stufenprozess unterstützt: Übergabe Geschäftsführung, Übergabe Abteilungsführung, Austritt Geschäftsleitung, definitiver Übergang zur reinen Verwaltungsratsaufgabe, Beratungsfunktion auf Wunsch.

Wie wurde intern und extern kommuniziert?

Der strategische Ausgangspunkt war unser 20-Jahre-Jubiläum, das zum Ziel hatte, die Marke und die Unternehmensvision zu zelebrieren und in die Zukunft zu blicken: 360°-Kommunikation analog und digital. Das begann sehr früh zuerst in der Geschäftsleitung, begleitet vom Wunsch des Teams nach Karriereplanung. Danach folgte in verschiedenen Schritten die Information an das Mitarbeiterteam. Mit einem Mailing an Kunden und Partner, verbunden mit persönlichen Treffen, kommunizierten wir die Zusammenarbeit B&B mit ITDS als Nachfolge- und Entwicklungsstrategie. Es folgte ein Akquisitionsmailing mit Booklet und der geschärften strategischen Ausrichtung mit Digitalkompetenz (Motion, 3D, Web) zur 360°-Werbeagentur.

Gab es Störfaktoren?

Selbstverständlich. Kompetenzgerangel, wirtschaftlicher Druck, interne und technische Veränderungen oder unterschiedliche Auffassungen machten dem Prozess zu schaffen. Aber genau diese Konflikte sind der Belastungstest für die Nachfolgelösung und deren Umsetzung. Hier zeigen sich Kompetenz, Kritikfähigkeit, Menschlichkeit, Teamgeist und die Leidenschaft für die «Migration» einer Idee in die nächste Generation.

Würdest du die Nachfolge wieder so angehen?

Das musst du alle Beteiligten fragen. Ich würde es auch unter anderen Vorzeichen wieder genau so angehen. Ein unabhängiger Berater, eine zentrale Idee wie die 360°-Kommunikation, Persönlichkeiten erkennen, ihnen eine Chance geben und sie zusammenführen. Eine One-Man-Show kann ich mir in der heutigen gesellschaftlichen Situation und bei dem Marktdruck nicht vorstellen.

Glück gehabt?

Das Glück lauert an vielen Orten. Man kann es durch Aufmerksamkeit erkennen, Vertrauen entwickeln und Risiko kontrolliert eingehen. Zusammengefasst sollte man alle Sinne einsetzen und dem Bauch, dem zweiten «Denkmuskel», vertrauensvoll folgen.

Was geben Sie Ihren Nachfolgern mit auf den Weg?

Keine Ratschläge. Dafür einen Hinweis, den ich aufgeschnappt habe und für treffend halte: Drei Führungsqualitäten von Führungskräften: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmass. Der Rest ist Persönlichkeit. 

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