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Netzwerk und Politik

Politik ohne Netzwerke ist in einer Demokratie nicht vor­stellbar. Ein Netzwerk ist zwingend erforderlich, soll das Ziel ein Legislativ- oder Exekutivamt sein. Bekleidet jemand bereits ein politisches Amt, so ist das Netzwerk
unabdingbar, um beispielsweise Mehrheiten zu schaffen. Es gilt an Informationen zu gelangen oder sich Medien­präsenz zu sichern. Wie also wird ein politisches Netzwerk aufgebaut, gehegt und gepflegt? Was lohnt sich?

Durch einen Zufall durfte ich im Januar 2012, im zarten Alter von 20 Jahren, ins Stadtberner Parlament nachrutschen. Von Netzwerk keine Spur. 2019 wurde ich dann vom Parlament einstimmig zum Stadtratspräsidenten – zum «höchsten Stadtberner» – gewählt. Was hat sich in diesen sieben Jahren alles verändert? Eine Antwort ist: das Netzwerk.

Politikerinnen und Politiker, auf welcher Ebene auch immer, erhalten eine Vielzahl von Einladungen zu Events, Ausstellungen, Empfängen, Konzerten, Vernissagen, Eröffnungen, Veranstaltungen anderer Parteien, Preisverleihungen, Kulturanlässen oder auch schlichten Networking-Apéros. Doch lohnt es sich tatsächlich, alle Veranstaltungen abzuklappern? Ist es sinnvoll, von jeder besuchten Veranstaltung einen Beitrag auf Facebook, LinkedIn, Twitter, Instagram etc. zu «posten»?

Auch Andersdenkende ins Netzwerk holen

Eine Politikerin oder ein Politiker sollte insbesondere eines sein: authentisch und damit glaubwürdig. Glaubwürdigkeit erlangt man jedoch nicht, weil man an einem Anlass Visitenkarten austauscht, nein, Glaubwürdigkeit muss hart erarbeitet werden. Es sind viele gute, inhaltsreiche, differenzierte und insbesondere auch unterhaltsame Gespräche notwendig, bis genügend Vertrauen aufgebaut ist und bis jemand der Meinung ist: Diese Person ist für mich glaubwürdig. Ich persönlich versuche an jeder von mir besuchten Veranstaltung mit lediglich einer beschränkten Anzahl Teilnehmenden längere Gespräche zu führen, unabhängig von der Zielgruppe des Anlasses. Es geht nicht darum, jede Hand zu schütteln oder gar das Parteiprogramm herunterzubeten. Vielmehr geht es darum, authentisch zu sein. So entsteht Vertrauen, so entsteht Glaubwürdigkeit, und Letztere beeindruckt auch politisch andersdenkende Menschen. Diese sind für ein gutes Netzwerk ebenfalls von zentraler Bedeutung. Ein solches bringt nicht viel, wenn es homogen ist, es sollte heterogen sein. Denn wichtig ist zu wissen, wo Wissen zu finden ist, und dieses ist nie am selben Ort gebündelt. Daher meine Empfehlung: Es lohnt sich nicht, an jeder «Hundsverlochete», mit Visitenkarten bewaffnet, den schnellen Kontakt zu suchen und danach gleich wieder an die nächstbeste Veranstaltung zu hetzen. Der betriebene Aufwand wird sich kaum im Ertrag widerspiegeln. Weniger ist mehr. 

Die Rolle der sozialen Medien

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der sozialen Medien: Sympathie, Vertrauen und Glaubwürdigkeit können nicht vorwiegend oder ausschliesslich über die sozialen Medien gewonnen werden. Daher verfolgen die sozialen Medien, zumindest für einen Politiker, einen ganz anderen Zweck als Diskussionen an Veranstaltungen. Zweck kann sein, präsent zu bleiben, einen visuellen oder audiovisuellen kompetenten Eindruck eventuell mit einem Text zu hinterlassen oder auf einfachste Art und Weise jemandem Aufmerksamkeit zu schenken. Der Aufwand, kurz einen Post zu verfassen, den Veranstalter zu markieren, sich zu bedanken und all dies mit einer guten Fotografie zu unterstreichen, ist gering. Unter Umständen werden mehrere tausend Menschen mit einem solchen Post erreicht, auch in der Schweiz. Der Aufwand spiegelt sich klar im Ertrag wider. 

Wenn das Netzwerk mal steht

Irgendwann steht ein Netzwerk, hart erarbeitet von der Politikerin, dem Politiker. Ist damit die Arbeit erledigt, kann man sich ab diesem Zeitpunkt ausschliesslich auf andere Dinge konzentrieren? Selbstverständlich nicht. Ein Netzwerk ist ein Netz aus einer Vielzahl von Beziehungen, und Beziehungen müssen gepflegt werden. Sie müssen auch erneuert und weiterentwickelt werden. Dies kann mit einem weiteren Gespräch an einer Veranstaltung, mit einem Lunch, mit einer Weihnachtskarte, mit einer Interaktion in den sozialen Medien, mit einer Einladung an eine eigene Veranstaltung geschehen. Stehen bleiben ist schlecht, Bewegen, Entwickeln ist gut. Auf die Menschen zugehen, ihnen zuhören, sie ernst nehmen. Das lohnt sich. Und es macht Freude! Seien Sie mutig. Machen Sie den Schritt auf andere Personen zu. Geben Sie zum Beispiel ruhig auch zu, dass Ihnen der Name nicht mehr einfällt, es spielt keine Rolle. Festigen Sie Ihr Netzwerk mit allen möglichen Formen der Interaktion. Solange Sie dabei sich selber bleiben, bleiben Sie auch glaubwürdig.

Erlauben Sie mir, als Politiker mit dem «frischen» Jahrgang 1991, abschliessend noch diese Bemerkung: Warten Sie nicht! Jede Interaktion ist eine Chance. Scheuen Sie sich nicht vor sozialen Unterschieden, scheuen Sie sich insbesondere nicht vor Altersunterschieden, seien Sie interessiert, seien Sie mutig und bleiben Sie respektvoll. Dies wird Ihnen die Achtung und das Vertrauen bringen, welches es erfordert, um glaubwürdig zu sein. Um den Kreis zu schliessen: Wenn Sie glaubwürdig sind, können Sie als Politikerin oder Politiker problemlos ein gutes und heterogenes Netzwerk aufbauen, unterhalten, weiterentwickeln und ausbauen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und insbesondere viel Spass! 

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