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Unternehmen neu gedacht  

Neue Ökosysteme braucht die Wirtschaft

Die Idee klingt abenteuerlich: Wettbewerber sollen sich zusammenschliessen, um gemeinsam Lösungen und Produkte zu entwickeln und branchenübergreifende Innovationen zu finden. Dahinter steckt die Idee der Ökosysteme, aus denen die neue Netzwerkökonomie aufgebaut ist. 

Für Marianne Janik, Country Manager von Microsoft Schweiz, sind Ökosysteme eine grosse Chance für Unternehmen, um endlich von der Stelle zu kommen. Statt einsam auf weiter Flur zu kämpfen, sollen sie sich mit anderen Unternehmen zusammentun. Sie können in gemeinsamen Projekten wesentlich mehr leisten und ambitioniertere Ziele erreichen, als sie es alleine je könnten. «In Ökosystemen arbeiten sie gemeinsam und auf Augenhöhe an Innovationen, die ihnen allen einen Nutzen bringen», sagt sie. Und das hat weniger mit Technologie zu tun als mit dem Umgang miteinander. Die Netzwerkökonomie ist eine Frage der Kultur und nicht der Software.

Willkommen in einer Welt, in der Einzelkämpfer der Vergangenheit angehören. Team­play ist angesagt und hat sich innerhalb von Unternehmen längst bewährt, in Form von flachen Hierarchien und Selbstorganisation. Jetzt sind die Unternehmen selber aufgefordert, sich zu vernetzen und gemeinsam zu agieren, sogar wenn sie Konkurrenten sind. Kritiker könnten einwenden: Alter Wein in neuen Schläuchen, denn die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen hat es schon immer gegeben. Doch hinter dem Konzept der Ökosysteme steckt eine andere Philosophie. Sie verspricht einen wesentlich grösseren Mehrwert als blosse Zusammenarbeit. Die Ökosysteme sind weit mehr als die losen Arbeitsgemeinschaften von Firmen, die ihre Kräfte bündeln, um sich bei einem grossen Auftrag gegenseitig zu unterstützen, wie das in der Baubranche etwa üblich ist.

Bei der Netzwerkökonomie geht es darum, neue Produkte oder Lösungen zu entwickeln, die allen beteiligten Partnern von Nutzen sind. «Nehmen Sie das Beispiel von discover.swiss», sagt Microsoft-Chefin Marianne Janik. Hier haben sich Schweizer Ferienregionen zusammengetan, um eine gemeinsame Plattform aufzubauen. Das Herzstück ist ein Buchungs- und Zahlungssystem für alle beteiligten Partner. Für die Nutzer bleibt es unsichtbar im Hintergrund, sie sehen lediglich den Auftritt einer einzelnen Region, ihre Buchung wird aber in einem gemeinsamen Tool verarbeitet. «Alleine wäre kaum eine Ferienregion in der Lage gewesen, die dazu nötige Infrastruktur auf die Beine zu stellen», sagt sie.

Alleine ist nichts mehr zu schaffen

Der Trend, dass sich immer öfter Unternehmen in solchen Ökosystemen zusammenschliessen, ist eine Antwort auf viele Aufgaben, die mittlerweile so komplex geworden sind, dass Firmen sie im Alleingang gar nicht mehr bewältigen können. In einer Studie des Helvetia Innovation Lab der Universität St. Gallen, in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Roland Berger, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass das interne Innovationspotenzial von Unternehmen längst ausgeschöpft ist. Die Lösung: Um Innovationen umzusetzen, müssen sie sich von der Idee verabschieden, dass sie selber stark genug sind, um die Pipeline an guten Ideen und Produkten am Laufen zu halten. Gute Ideen für Produkte und Lösungen kommen nur noch in wenigen Fällen von innen. In einigen Branchen, etwa in der pharmazeutischen Industrie, ist es längst die Regel, dass die grossen Player Ideen und Produkte von kleinen Biotech-Startups kaufen, um sie dann zu Medikamenten weiterzuentwickeln.

In einer Studie kommt Deloitte, eine internationale Unternehmensberatung, zum Schluss, dass Unternehmen vor einem Dilemma stehen: «Sie müssen sich neu erfinden, aber gleichzeitig dürfen sie ihre erfolgreichen Geschäftsfelder nicht aufgeben.» Ein Ausweg daraus könnte tatsächlich das Erarbeiten von Innovationen in Ecosystems sein. Der Zugriff auf externe Innovation ist schon heute für das Entstehen von 75 % aller disruptiven Produkte und Lösungen verantwortlich, schreibt De­loitte. In den G20-Staaten wird nach Angaben der Berater durch die Kooperation zwischen Grossunternehmen und Startups ein BIP von 1,5 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Dass sich grosse und kleine Unternehmen auf Augenhöhe treffen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, ist das Kennzeichen der Ecosystems.

Konkurrenten kooperieren

Ein frühes Beispiel einer solchen Erfolgsgeschichte ist die Entwicklung des Smart, der ebenfalls aus der Kooperation eines David mit einem Goliath entstanden ist. «Innovation und eine Steigerung der Produktivität lassen sich nicht mehr alleine bewerkstelligen», sagt die Microsoft-Chefin. Dabei steht jetzt etwas auf der Tagesordnung, vor dem Unternehmen vor einigen Jahren noch zurückgeschreckt sind: die Zusammenarbeit zwischen Firmen, die nicht nur in der gleichen Branche tätig, sondern Konkurrenten sind. In der neuen Netzökonomie macht es mehr Sinn, zu kooperieren, als alleine zu arbeiten oder alle Informationen für sich zu behalten. Vor einiger Zeit kam die NZZ zu dem Schluss, dass sich auch eine so diskrete Branche wie die Schweizer Vermögensverwalter «öffnen und Innovationen in Ökosystemen anstreben» müssten. Dabei geht es freilich weniger um neue Innovationen als um die Akkumulation von Daten. Wenn sich Vermögensverwalter Daten teilen, können sie gemeinsam Algorithmen entwickeln, die ihnen helfen, den Zugang zu geeigneten Kunden zu finden, alte Mandanten zu behalten und neue zu gewinnen.

In anderen Branchen arbeiten Wettbewerber bereits zusammen und entwickeln, ähnlich wie in der Tourismusindustrie, gemeinsame Applikationen, die ihnen helfen, effizienter zu arbeiten. So haben sich Versicherungsbroker mit einer Softwarefirma zusammengetan und ein Ökosystem gegründet. Ziel war es, eine App zu entwickeln, mit der Rechnungen ohne Medienbrüche direkt an die Kunden weitergeleitet werden können. Im Frühjahr 2020 soll sie einsatzbereit sein. «Ohne die Zusammenarbeit wäre es den kleinen Unternehmen einfach nicht möglich gewesen, eine solche Softwarelösung zu entwickeln», sagt Marc Holitscher, National Technology Officer von Microsoft Schweiz.


Willkommen in einer Welt, in der Einzelkämpfer der Vergangenheit angehören. Teamplay ist angesagt und hat sich innerhalb von Unternehmen längst bewährt, in Form von flachen Hierarchien und Selbstorganisation. Jetzt sind die Unternehmen selber aufgefordert, sich zu vernetzen und gemeinsam zu agieren, sogar wenn sie Konkurrenten sind.


Zusammenarbeit eröffnet neue Märkte

Vor allem zur Bearbeitung neuer Märkte, die durch die Digitalisierung erst entstehen, braucht es auch neue Formen der Zusammenarbeit. Nach einer Umfrage unter KMU in Deutschland – für die Schweiz fehlen entsprechende Angaben – sehen 74 % der Firmen in der Kooperation die Möglichkeit, besser auf Kundenwünsche eingehen zu können; und zu einem gleich hohen Prozentsatz hoffen sie, dadurch ihre Unternehmensprozesse optimieren zu können. Über die Hälfte der Befragten ist überzeugt, dass neue Geschäftsmodelle und ein schnellerer Produktentwicklungszyklus von solchen Kooperationen profitieren können.

Wer glaubt, solche Ökosysteme seien nur etwas für kleinere Unternehmen, die aus eigener Kraft nicht innovativ sein können, braucht nur auf die Kooperation zwischen Mercedes-Benz und BMW bei der Entwicklung neuer Mobilitätslösungen, etwa Elektroautos, zu schauen. Tatsächlich ist die Automobilbranche ein Paradebeispiel für die Netzwerkökonomie von heute. Einen wirklich grossen Mehrwert generieren Ecosystems dann, wenn sie die Grenzen einer Branche sprengen. Der Mobilitätssektor wächst heute immer mehr zusammen, da sich das Mobilitätsverständnis geändert hat. Autohersteller, Autovermieter, Versicherungen, Anbieter im öffentlichen Verkehr oder Taxiunternehmen bedienen alle das gleiche Bedürfnis. Da liegt es auf der Hand, dass sich die Akteure zusammenschliessen. Warum sollte ein Autohersteller seine Autos nur verkaufen und nicht auch im Abo anbieten? Warum sollte nicht ein Bahnunternehmen mit einem Versicherer kooperieren? Warum sollte der öffentliche Verkehr nicht auf die Infrastruktur der Autovermieter zurückgreifen können? Neben der Entwicklung neuer Produkte spielen Daten eine grosse Rolle. Versicherer interessieren sich für das Fahrverhalten und risikoreiche Verkehrsinfrastruktur; Autovermieter profitieren davon, wenn sie wissen, wann Flüge ausfallen; Autohersteller profitieren von Informationen über das Fahrverhalten ihrer Käufer. 

Nach Ansicht von ExpertInnen sind Ecosystems eine komplett neue Phase in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen. Während sich klassische Plattformlösungen darauf beschränken, die Transaktionskosten zu senken und die Profitabilität zu steigern, zielen die Ecosystems darauf ab, «die Value Chain eines Unternehmens in ein Value Network aus mehreren Partnern» zu verwandeln, wie es Steffen Gackstatter von der Beratungsfirma Roland Berger in einem Positionspapier formuliert. «Wenn Sie in einem Ökosystem über die Branche hinaus denken, können Sie Lösungen entwickeln, die sich sehr viel besser an den Bedürfnissen des Marktes orientieren, als wenn Sie innerhalb der alten Grenzen bleiben», sagt auch Marianne Janik. 


Wie man ein Ecosystem baut

Ein Ecosystem braucht drei Partner, einen Moderator und einen Kulturwandel. Der Aufbau eines Ecosystems hat weniger mit Technologie als mit einem Kulturwandel zu tun. Am besten treffen sich drei Partner aus mindestens zwei verschiedenen Branchen. Für den Erfolg ist es entscheidend, Verbindlichkeit zu schaffen. Wie die meisten Unternehmer aus eigener Erfahrung kennen, ist die Begeisterung anfänglich gross, lässt dann nach und das Projekt versandet allmählich – der Erfolg bleibt auf der Strecke.

Wichtig ist, dass sich die Partner im Ecosystem auf Augenhöhe bewegen. Keiner von ihnen hat den Lead. Deshalb, so empfehlen es die Spezialisten von Microsoft Schweiz, wird ein externer Moderator engagiert. Seine Position bringt für das Ecosystem zwei wesentliche Vorteile: Zum einen bleibt die Gleichberechtigung unter den Partnern gewährleistet, zum anderen muss der Moderator bezahlt werden. Das bedeutet Commitment. Wer Geld investieren muss, überlegt sich gründlicher, ob sich die Zusage lohnt. Wichtig ist auch die Rechtsform, wobei sich die Genossenschaft
bewährt hat. Die Partner ziehen somit an einem Strick. Weil die Genossenschaft ohne Gewinn arbeitet, stehen finanzielle Interessen innerhalb des Ecosystems nicht an erster Stelle. Den Profit erwirtschaften die einzelnen Partner ausserhalb des Ökosystems in der freien Wildbahn. 

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